Mittwoch, 31. August 2011

Demut kommt vor dem Fall

Ich befinde mich momentan - wie mehr oder weniger bekannt - mitten in der Bewerbungsphase. Am Montag hatte ich mein allererstes Vorstellungsgespräch. Ein richtiges, ohne Vitamin B und auch nicht für einen Nebenjob, bei dem so ziemlich jeder genommen wird, der bis drei zählen kann. Und somit starre ich nun minütlich auf mein Handy und rufe alle 30 Sekunden meine E-Mails ab, in der Hoffnung nach Erlösung. Aber nachts? Da lieg ich wach und frage mich, ob ich das Gespräch nicht doch versemmelt habe und das anfänglich gute Gefühl direkt nach dem Gespräch nicht einfach nur durch den plötzlich abfallenden Adrenalinspiegel und die Euphorie über das Ende des Gesprächs herbei gerufen wurde. Warum habe ich nicht dieses oder jenes gesagt? Wieso ist mir nicht ein anderes Beispiel eingefallen? Und oh, ich Idiot! Wieso hab ich das nicht soundso gesagt??? Ich hab doch schließlich Sprachen studiert. ICH müsste doch wissen, wie man sich ausdrückt!

Die Wahrheit ist allerdings, dass genau diese Haltung schon im Studium eingepflanzt wurde. Seit dem ersten Tag an. Als stolze und frisch gebackene Abiturientin war ich fest davon überzeugt, das richtige Studienfach gewählt zu haben, da mir dies ja auch irgendwie in die Wiege gelegt wurde. Weit gefehlt! Bei der Vorstellungsrunde im Fach Polnisch wurde mir eröffnet, dass man besser ein anderes Fach hätte wählen sollen und man mir sowieso an meinem Deutsch meine Herkunft anhören würde. Oha! Anfangs fühlte ich mich, wenn auch ziemlich irritiert, noch ein wenig geschmeichelt, war ich doch recht stolz auf meine neu erworbenen Polnisch-Kenntnisse. An Tag 3 fand dann der Sprachtest statt (der ein Jahr später von Grund auf verändert und vereinfacht wurde), der im Prinzip ausschließlich aus Ausnahmefällen der Grammatik bestand und den ich dann an Tag 10 mit einer fetten 5,0 wieder entgegen nahm. Na tolle Wolle, Frau Holle!

Ich musste also am Grundkurs teilnehmen, was ich gut fand, war ich mir doch über meine mangelnden Kenntnisse bewusst. Doch was ist das? Im Grundkurs ging es fast nie um die geprüften Ausnahmefälle, sondern um Grundlegendes wie "das ist ein Stuhl" und "ich habe Hunger". Zwei seeehr lange Semester. Während ich im dreistündigen Grammatikkurs meine Nackenwirbel knacken ließ, um mich noch tiefer ducken zu können, sobald die Reihe zu mir kam und ich unweigerlich Wörter und Zahlen in allen 7 Fällen durch deklinieren musste. Selbst meine Eltern kamen ins Schwitzen, wenn sie auch nur meine Nummer auf dem Telefondisplay sahen und genau wussten, ich würde nun 3 Stunden lang sinnlos Wörter von ihnen dekliniert haben wollen.
Englisch war da schon besser. Gut, man ging in der Masse von etwa 300 Studenten unter, aber wenigstens konnte man mal durchatmen, wenn man weit hinten saß. "Bloß nicht ich, ich bin doch nicht gut!" So zog es sich durch das Studium. In manchen Übersetzungsübungen freute man sich zwar über die 2, erkannte dann aber recht schnell, dass der Schnitt bei 1,7 lag.


Warum, liebe Dozenten und Dozentinnen macht ihr es einem so schwer? Warum seid ihr so erpicht darauf, dass Studenten solche Angst vor euch haben? Wieso schreibt man einem sonst guten Studenten unter die Klausur, dass derjenige sein Diplom niemals bestehen wird, ohne vorher auch nur ein Wort mit ihm gewechselt zu haben (der dann, mit Verlaub, eine 1,8 unterm Diplom hat)? Warum redet ihr den Studenten ein, sie würden eh allesamt Taxifahrer werden? Unbegreiflich ist es mir auch, dass wirklich NUR die guten Dozenten die neu eingeführte und verpflichtende (!) Kursbewertung an die Kursteilnehmer verteilt haben. Und ganz ehrlich: ich kann es nicht verstehen, wie man einen Prüfling 1 Woche vor der mündlichen Prüfung mit Namen anspricht und dann, anders als besprochen, zwei neue Themen hinzufügt, um diesen Prüfling in der Prüfung mit den Worten "ich kenne Sie gar nicht. Waren Sie je in einem meiner Kurse?" zu begrüßen.

Wie kann man denn bitte souverän und selbstbewusst in ein Vorstellungsgespräch gehen und dann auch in der Lage sein, dieses realistisch beurteilen zu können, wenn einem ständig vermittelt wird man sei nichts und könne auch nichts? Alleine die Angabe der Sprachkenntnisse im Lebenslauf ist bei uns Übersetzern schon lachhaft. Wenn so manch anderer angibt, seine Italienischkenntnisse seien "sehr gut", weil im letzten Italienurlaub tatsächlich die gewünschte Pizza serviert wurde, zweifelt unsereins schon an der - wie es so schön heißt - muttersprachlichen Kompetenz, weil ein hörbar osteuropäischer Kommilitone den eigenen Satz verbessert. Und wie sollen wir wissen, wie viel man preislich verlangen kann, wenn entweder gar keine Auskunft gegeben wird oder ein Rat erteilt wird, der fernab jeglicher Realität liegt? Wie kann es sein, dass die Studienordnung nicht verpflichtend für jeden Übersetzer-Studenten vorsieht, Kurse in DEM Übersetzer-Software-Tool schlechthin zu belegen? Ein Tool, das von JEDEM Arbeitgeber gefordert wird! Ein Graphiker ohne Photoshop-Kenntnisse? Undenkbar! Ein Handwerker, der keinen Nagel in die Wand hauen kann? Niemals! Ein Informatiker ohne DOS? Ähm, ja... Jetzt könnte man meinen, unsereins sollte sich das Programm einfach kaufen und sich selbst aneignen. Problem ist nur: es kostet rund 700 Euro und ist wohl für den Geldbeutel eines Studenten nicht erschwinglich. Es scheint selbst für die Uni unerschwinglich zu sein, die noch nicht mal die Vollversion in den ZWEI Kursen im Semester (für 2500 Studenten) anbietet.

Ich will die Uni oder meine Ausbildung nicht schlecht machen. Ich bin in den Genuss einer wirklich sehr guten Ausbildung gekommen. Nicht umsonst nennt sie sich "elitär". Viele Dozenten konnten mir wirklich viel beibringen. Aber ich verstehe leider nicht, warum sich so viele Dozenten als etwas Besseres sehen und uns Studenten nicht als Kollegen betrachten, insbesondere nach meinem USA-Aufenthalt, wo dies der Fall ist. Da geht der Dozent nicht einfach mal bei Semesterbeginn drei Wochen ins Ausland und der Unterricht muss somit ausfallen. Natürlich, dort zahlt man eine Menge mehr Kohle für ein Studium. Aber ich hätte von den Gelehrten in unserem Land (oder zumindest an unserer Universität) ein wenig mehr Respekt und Achtung erwartet. Und dass sie uns auf das Leben nach der Uni vorbereiten, und zwar in ALLEN Aspekten. Schade. 

Und somit stellen sich mir heute die gleichen Fragen wie damals nach den Klausuren: Hätte ich doch nur dieses oder jenes geschrieben. Warum ist mir das Wort nicht eingefallen? Warum hab ich das nicht soundso ausgedrückt? Also liebe Lehrenden, diese jahrelange Demut- und Bittstellerhaltung hat mir bisher nicht geholfen! Im Gegenteil, mein Kreuz tut weh und die Knie sind ganz wund! Und die Zukunft ist auch ungewiss.

6 Kommentare:

  1. Du hast ja so recht!! Ich erkenne mich in so vielen Sachen wieder ... der Wahnsinn, dass unser Ego nach so einem Studium wirklich im Keller ist. Ich drücke dir ganz ganz fest die Daumen - ich weiß, dass dut gut bist!

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  2. Danke! Das Ego ist eigentlich nach den ersten paar Aufträgen nach dem Studium wieder gewachsen. Aber eine gewisse Unsicherheit bleibt trotzdem. Und meine Meinung musste einfach mal raus!

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  3. So Alex erstens bist du gut!!! Zweitens haben wir dich so oder so lieb!!! Drittens dein Wort in Gottes Ohr!!!

    LG Sarah

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  4. Bei einem solchen Bericht freut man sich schon auf die zukünftige Studienzeit. ;-)
    Aber ich muss hinzufügen, dass das so bei mir bereits teilweise in der Oberstufe während der Vorbereitungen auf das Abitur vonstattengegangen ist. Das hat natürlich weniger zu meinem Selbstbewusstsein beigetragen und ich arbeite immer noch daran mich durch solche scheinbar beiläufigen Äußerungen nicht verunsichern zu lassen.

    Liebe Grüße, Nathalie

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